Vielleicht wird einigen von euch der Name "Romney, Hythe & Dymchurch Railway" schon mal untergekommen sein. Hier im Forum habe ich jedoch noch keinen Beitrag dazu gefunden.
Die Spurweite von 381 mm (15 Zoll = 1 Fuß 3 Zoll) findet man zwar auch bei uns, allerdings nur bei Park- und Liliputbahnen.
In Großbritannien gibt es solche Bahnen jedoch auch als, rechtlich gesehen, richtige öffentliche Eisenbahnen mit zum Teil beträchtlichen Streckenlängen.
Die bekannteste und von Streckenlänge und Betrieb her bedeutendste ist die Romney, Hythe & Dymchurch Railway.

Sie verkehrt im Süden der Grafschaft Kent zwischen dem historischen Hafenstädtchen Hythe und der Halbinsel Dungeness.
Die Streckenlänge beträgt ca. 22 km, davon zwischen Hythe und New Romney ca.12 km zweigleisig.

Lok 3 "Southern Maid" abfahrbereit im Bhf Hythe

Die gleiche Lok im Bhf Dymchurch...

...und im Bhf New Romney

Lok Nr. 8 "Hurricane"im Bhf Dungeness

Lok 5 "Hercules" auf der zweigleisigen "Rennstrecke"zwischen Dymchurch und Hythe
Die Bahn entstand aus einer Idee zweier Rennfahrer und Großgrundbesitzer: Captain J.E.P. Howey und Graf Louis Zborowski, des Besitzers des seinerzeit berühmten Rennwagens "Chitty-Chitty-Bang-Bang". Beide betrieben jeweils bereits auf ihren Landgütern Parkbahnen in 381 mm Spurweite und wollten in dieser Spurweite eine Bahn für den öffentlichen Verkehr bauen und betreiben. Noch während der Suche nach einer geeigneten Strecke kam Graf Zborowski bei einem Autorennen ums Leben. Howey suchte weiter und fand schließlich in der Nähe von Folkestone die Trasse einer geplanten, aber noch nicht gebauten Normalspurbahn. Er kaufte die Trasse, erhielt eine Konzession des Parlaments und eröffnete 1927 den ersten 13,4 km langen zweigleisigen Abschnitt von Hythe nach New Romney. Dort entstand auch der Betriebsmittelpunkt. Die Bahn wurde sofort ein Erfolg und Howey konnte 1929 den ebenfalls zweigleisigen Abschnitt New Romney- Dungeness eröffnen, der dort in einer großen Gleisschleife endet.

Die Halbinsel Dungeness ist im Wesentlichen eine Art Kiessteppe mit spärlichem Pflanzenbewuchs. Dort gibt es außer dem RH&DR Bahnhof, drei Generationen von Leuchttürmen und einem Kernkraftwerk eigentlich nichts und es wirkt auf den ersten Blick ziemlich trostlos. Dennoch wird das Gebiet in den letzten Jahrzehnten zunehmend mit mehr oder weniger aufwändigen Ferienhäusern besiedelt.
Als Folge des Zweiten Weltkriegs, währenddessen das britische Militär die Bahn als Teil der Küstenbefestigung betrieb (damals verkehrte u.a.auch ein gepanzerter, aus einer 2`C1´ Lok und zwei Wagen gebildeter Flugabwehrzug), wurde der Abschnitt New Romney - Dungeness auf ein Gleis zurückgebaut. Dabei ist es bis heute geblieben.
Von 1977 bis 2015 beförderte die RH&DR im Auftrag der Grafschaft Kent ganzjährig Schulkinder zu einer Mittelschule in New Romney. Seit 2009 bindet sie ein regionales Naturschutzzentrum an den übrigen ÖPNV der Grafschaft an.
Der Schwerpunkt des Betriebs liegt naturgemäß auf dem Touristik-Verkehr von Frühjahr bis Herbst. In der Hauptsaison verkehren die Züge im 45 Minutentakt.
Bis in die ersten 2000er Jahre verkehrte an bestimmten Tagen fahrplanmäßig der "Kent Coast Express", der von Hythe nach Dungeness die 22 km und anschließend die gleiche Tour zurück jeweils ohne Halt befuhr.

Nr. 8 "Hurricane" , das "Rennpferd" unter den Dreikupplern auf der Drehscheibe in Hythe und...

...mit dem "Kent Coast Express" abfahrbereit in Hythe zur 22 km NonStop Fahrt nach Dungeness und...

..an einem Bahnübergang. (Nach zwei jeweils für die Lokführer tödlichen Unfällen in den letzten Jahren sind inzwischen alle Bahnübergänge mit automatischen Halbschranken gesichert.)

Das Ziel in Dungeness ist erreicht. Hier gibt es eine Überholung mit einem dieselbespannten Zug.
Die offizielle Höchstgeschwindigkeit beträgt 25 mph (= ca.40 kmh). Wenn es nötig ist werden auch schon mal 50 kmh erreicht. Die Reisegeschwindigkeit liegt bei fast 22 kmh.
Die Hauptlast des Verkehrs übernehmen 8 Schlepptender-Damploks der Bauarten 2`C 1`h2, zwei der Bauart 2`D1`h2 sowie zwei Dieselloks der Bauart B´B´. Fünf der Dreikuppler sind 1:3 Replika nach Entwürfen von Henry Greenly nach dem Vorbild der LNER Class A1. Die Vierkuppler beruhen auch auf Entwürfen von Greenly im selben Maßstab.

2`C 1` Nr. 1 "Green Goddess" vor dem Lokschuppen in New Romney

Vierkuppler "Hercules" ebenfalls in New Romney

Zwei der Dreikuppler wurden nach kanadischen Vorbildern gebaut.
Bei einer weiteren 2`C 1´ Maschine handelt es sich um eine von Krupp gebaute Martens`sche Einheits-Liliputlok, die u.a.1957 in der Kölner Bundesgartenschau unter dem Namen "Fleißiges Lieschen" unterwegs war.

Nr. 11 "Black Prince" auf der Drehscheibe in Hythe...

...und anschließend abfahrbereit

Eine weitere Schlepptenderlok der Achsfolge B der Fa. Krauß & Company, München wurde bereits 1926 gekauft und diente als Baulok. Sie wurde 1933 verkauft und kehrte 1972 zur RH&DR zurück.

Nr. 4 "The Bug" im Lokschuppen in Hythe

Diesellok Nr.12 (heute Nr. 14) "Captain Howey" in Hythe

Ein "Schmankerl" ist der Barwagen "Gladys", in dem man nicht nur Erfrischungsgetränke und kleine Snacks bekommt, sondern in dem auch alle Arten alkoholischer Getränke ausgeschänkt werden dürfen, denn er ist "fully licenced"
Jetzt noch einige weitere Bilder:

Ein Blick ins Führerhaus

Die Züge (bis zu 12 vierachsige Wagen) sind saugluftgebremst.

Ausfahrt New Romney Richtung Hythe

Wenig später vor Unterführung unter der Küstenstraße

Gleich darauf der Gegenzug in Richtung New Romney

In diesem kleinen Gartenarrangement im Bhf New Romney befindet sich die Grabstätte von Captain J.E.P. Howey
(Alle Fotos entstanden in den Jahren 1985 - 1989. Bis heute haben sich im Fahrzeugpark keine größeren Veränderungen ergeben. Lediglich eine weitere B`B`Diesellok gleicher Bauart ist dazu gekommen und die Farben der Fahrzeuge werden ab und zu geändert. Gebäude und Streckenausrüstung werden jedoch kontinuierlich modernisiert, wie auch z.B. bei der Bahnübergangssicherung).
Vor dem Brexit konnte man die Bahn vom Rheinland aus als verlängerter Wochenendausflug freitags bis sonntags mit Personalausweis besuchen, indem man von Dünkirchen oder Calais aus nach Dover übersetzte oder durch den Eurotunnel fuhr. Heute ist die Einreise in das Vereinigte Königreich durch Passzwang und vorheriger elektronischer Registrierung deutlich aufwändiger.
Von Dover dauert die Autofahrt nach Hythe über Autobahn und Landstraße ca. 17 Minuten, nur auf der Landstraße ca.18 Minuten.
Vom Eurotunnel-Terminal in Folkestone braucht man über Autobahn und Landstraße nur ca. 8 Minuten, nur Landstraße ca. 10 Minuten (lt. Routenplaner).
Die Anreise mit der Bahn ist leider nicht zu empfehlen, da der erste mögliche Halt des Eurostars in Ashford, ca. 20 km landeinwärts von der Küste liegt. Von dort müsste man mit dem Regionalzug wieder zurück an die Küste nach Folkestone und von dort mit dem Bus nach Hythe.
Nichtsdestotrotz Ist die Bahn auf jeden Fall eine Reise wert.
Grüße aus dem Bergischen Land
Georg